24 September 2025 | 6.30 pm Villa Köstlin
Geheimnis des „Mooses“ im „Steingarten“ – eine interkulturell phänomenologische Betrachtung
(1) Interkultureller Überblick über den japanischen Garten
In der europäischen Kunsttheorie war die Gartengestaltung bis zur Neuzeit kein Thema. Ein Hintergrund dafür ist die seit Aristoteles tradierte teleologische Ontologie, der zufolge Steine und Erde in der ontologischen Hierarchie ganz unten stehen. Der aus Steinen und Erde angelegte Garten, konnte deshalb in der Kunst nur einen niedrigen Rang erhalten, was bis zur Hegelschen Ästhetik der Fall blieb. In Japan hingegen taucht bereits im 12. Jahrhundert eine Schrift über die Gartengestaltung auf.
(2) „Steine“ und „Moos“ im japanischen Garten
Die älteste Abhandlung über die Gartengestaltung in Japan, „Sakutei-ki“ (作庭記), befasst sich mit der Anordnungsweise von Steinen. Dabei handelt es sich um „Natursteine“, die weder im französischen noch im englischen Garten einen Platz finden. Jedoch selbst in diesem „Sakutei-ki“ gibt es ein Ding, das nicht erwähnt wird: das „Moos“. Diese Pflanze ist zwar in Japan seit alters her vertraut. Aber gerade deshalb entstand das „Paradoxon des Selbstverständlichen“: Der Sinn seines Seins wird vergessen. Das Moos ist als dieses Paradoxon des Verborgenseins das „Geheimnis“ des Steingartens.
(3) Das Moos im Trockengarten des Ryōan-ji
Der Trockengarten des Ryōan-ji besteht nur aus Steinen und Sand. Kein Baum steht dort, so dass das organische Leben verdorrt ist. Die einzige Ausnahme bildet das Moos, das um die Steine herum in einer unauffälligen Weise wächst. Das Moos selbst bleibt unscheinbar, aber als das Unscheinbare lässt es seinerseits die Steine eigens als Steine aufgehen.
(4) Zur „Phänomenologie des Unscheinbaren“
Heraklit sagte: „Die Natur (physis) liebt es, sich zu verbergen.“ Heidegger sah in diesem Wort den Sinn der „Wahrheit“ als der „Un-Verborgenheit“. Der Zen-Meister Dōgen schrieb: „Erbarmen, dass Stimme und Farbe des Berges und Flusses sich verbergen. Aber erfreulich, dass sie doch zum Vorschein kommen.“ Für Zeami, den Gründer des Nô-Spiels, gilt: „Das Sich-verbergen zeigt die Schönheit der Blume.“ Im Moos als dem Geheimnis des Trockengartens lässt sich das so Gesagte konkret sehen.